Wege aus der Familienkrise

Auswege aus der Familienkrise 

Meist suchen mich Einzelpersonen auf, die in einer Familienkrise stecken. Die Frage bei der Terminvereinbarung lautet oft: „Bringt das eigentlich etwas, wenn nur einer kommt?“ Ich kann das definitiv bejahen. Wenn jemand mit einem Konfliktanliegen zu mir in die Praxis kommt, sitzen imaginär immer auch die anderen Beteiligten des Konflikt-Systems mit im Raum. 

Zuerst geht es darum, dass wir gemeinsam die Gefühle und Gedanken des Klienten verstehen. Oft ist dem Einzelnen gar nicht bewusst, was alles in ihm vorgeht. Es ist wichtig, die einzelnen Schritte zu gehen: Was sind meine Gedanken – Gefühle – Bedürfnisse? Wo interpretiere ich das, was der andere tut oder sagt? Was für Strategien habe ich bis jetzt in schwierigen Situationen genutzt? 

Familienmuster erkennen 

Auch ist wichtig, zu verstehen, was in der Familie, in der die Krise entstanden ist, für Glaubensmuster herrschen. Was „tut man“ oder eben nicht? Wie wird über andere gesprochen? Wichtig ist hier, dass wir in der Sitzung nicht bewerten. Es ist alles, wie es ist. Es geht um das Verstehen, was es mit dem ganzen System und mit dem Empfinden meines Klienten macht. Hier zählt für mich immer zur Kernfamilie (PartnerIn, Kinder) auch die Ursprungsfamilie und die Generation(en) davor. Nicht selten tauchen hier transgenerationale Themen auf, die bis dahin vollkommen unbeachtet und unerwähnt ihre Auswirkung in der Familie hatten. 

Das ist meist eine spannende Zeit. Entdeckt doch der Klient, dass das, was jetzt zur Krise geführt hat, schon lange ein Teil seines Lebens und der Familie ist. Es ist nur vorher nicht aufgefallen, da bestimmte Konflikte noch nicht in den Vordergrund getreten sind. Meist führt eine plötzliche Veränderung äußerer Umstände, die auf das bestehende Konfliktfeld trifft, zu der Krise. In der gemeinsamen Arbeit zeigen sich Verstrickungen innerhalb des Familiensystems, die bereits geraume Zeit bestehen. 

Dazu ist mir wichtig, die Krise an sich zu erklären. Eine Krise (griech. Krisis: Entscheidung, entscheidende Wendung) ist ein Höhepunkt und somit auch ein Wendepunkt in der Konfliktentwicklung in einem sozialen System. Für gewöhnlich geht der Krise bereits eine geraume Zeit eine schwierige Entwicklung voraus, die bis dahin noch bewältigbar war. Eine Krise ist meist ein kürzeres Geschehen und führt zu neuen Handlungsmustern. 

In der Regel gratuliere ich dem Klienten (oder dem Paar / der Familie) der mich aufsucht, zur Krise. Ein alter Spruch lautet „Krisen sind Chancen“. Und so erlebe ich das durchweg in meinen Therapien. Eine Krise zeigt alte Muster auf und darin auch, dass die vorherigen Strategien zur Bewältigung nicht mehr greifen. Es zeigt sich, was sich verändern darf und nötigt die Beteiligten aus der Komfortzone des immer Gleichen heraus. 

Der eigene Bewusstwerdungsprozess 

Es ist immer anstrengend und kräftezehrend, sich mitten in einer derartigen Zuspitzung zu befinden. Es braucht Mut, diesen Prozess anzunehmen und ein sich einlassen darauf. Der Prozess braucht Zeit. Oft vereinbare ich einen Zeithorizont. Diese Zeit davor, vereinbaren wir, dass es da anstrengend sein darf. Meist hilft auch der Blick auf den „Zeithorizont“ – in dem Wissen: Danach wird es leichter und die Energie, die noch vor der Konfliktlösung in die Problembewältigungsstrategie geflossen ist, wird frei und steht zur Verfügung. 

Für gewöhnlich führen die therapeutischen Gespräche dazu, dass auch in der Familie mehr gesprochen wird. Es wird Unausgesprochenes ausgesprochen und entdeckt, wo der (oder die) 

andere aus einem anderen Weltbild heraus gehandelt und reagiert hat. Fragen, die nie gestellt wurden, bekommen Raum. Differenzen werden entdeckt. 

Ich selbst erlebe es immer so, dass die Klienten in einen eigenen Entwicklungsprozess eintauchen. Mir kommt es oft so vor, als ob eine Schatzkiste geöffnet wird und endlich Themen zum Vorschein kommen, die der Klient bereits vorher gespürt hat. Es ist sehr berührend, bei diesen Entdeckungsreisen dabei sein zu dürfen. Oft entsteht ein Staunen darüber, was den Menschen, der mir gegenüber sitzt, alles geprägt hat, was er vorher noch nicht bewusst wahrgenommen hat. Diesen Prozess nenne ich „Bewusstwerdungsprozess“. Und nicht selten passiert es, dass Klienten „Geheimnisse“ der Familie entdecken und ein großer selbstempfundener innerer Druck damit plötzlich abfällt. 

Den Umgang innerhalb der Familie verändern 

Sachlichkeit 

Neben dem eigenen Prozess ist es notwendig, neue Verhaltensweisen im Konfliktfeld zu lernen. Sachlichkeit wahren zu können ist wichtig. Alles, das gesagt und getan wird wie durch eine Kamera zu betrachten und die eigenen Interpretationen weg zu lassen, trennt „Tatsächliches“ vom „Gefühlten“. Das ist mitunter einer der schwierigsten Schritte. Die emotionale Reaktion kommt meist schneller, als man „denken“ kann. Das will also wirklich geübt werden. Ich empfehle meinen Klienten kleine Schritte: Zuerst in der Vorstellung solche Situationen üben, in welchen normalerweise Streit entsteht. Was passiert, wenn ich ruhig bleibe? Was passiert, wenn ich erstmal gar nichts sage? Alles, was das Gehirn durch die Vorstellung übt, wird abgespeichert, wie real erlebt. Tiefes Atmen hilft, im parasympatischen Teil des autonomen Nervensystems zu bleiben. Ich erkläre immer, was im Körper abläuft, wenn man wütend wird oder ruhig bleibt. Der Parasympatikus ist der Teil des Nervensystems, der zuständig ist für den Entspannungsmodus in uns. Wir können ihn durch tiefe und ruhige Atmung unterstützen. Wenn er das einigermaßen schafft – ruhig zu bleiben, wenn die Konfliktthemen auftreten, kann der Klient anders mit der Situation in seiner Familie umgehen. 

Offenheit und Zuhören 

Ein weiter Teil ist die Erkenntnis, dass das Gegenüber nicht einfach nur „gemein“ ist. Für gewöhnlich geht im Gegenüber ein ähnlicher innerer Kampf ab, wie mein Klient ihn kennt. Eine gewisse Neugierde, den anderen neu betrachten zu lernen, lässt eine neue Offenheit entstehen. 

Interessanterweise muss das „Zuhören“ erst gelernt werden. Meist unterbrechen sich die Konfliktmitglieder im Gespräch, weil sie schon „wissen“ was der andere sagen will. Wenn wieder gelernt wird, zuzuhören, dem anderen den Raum zu geben, seine eigene Aufmerksamkeit mitgehen zu lassen und während des Hörens seine eigenen Gefühle beobachten, lernt man meist viel. Auch ist es dann möglich, nachzufragen. „Ich habe jetzt verstanden dass…. Stimmt das so?“ Auf diese Weise werden Missverständnisse aufgedeckt. 

Auch kann man dann mitteilen, was in einem selbst vorgeht, wenn man diese Dinge vom anderen hört. Solange man von sich selbst spricht, also Ich-Botschaften weiter gibt, geschieht Klärung. Das Formulieren der eigenen Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse schafft Verständnis füreinander. 

Dann ist es auch möglich, seine Wünsche für Veränderung des gemeinsamen Umgangs zu äußern. Endlich kann nach vorne geblickt werden. Meine Klienten sagen am Ende der gemeinsamen Gespräche oft zu mir, dass Sie dankbar sind für die Krise. Das Durcharbeiten und die Erkenntnisse daraus lässt neue Möglichkeiten entstehen. 

Jeanette Müller
Heilpraktikerin für Psychotherapie in München jeanette-mueller-psychotherapie.de Paartherapeutin
Tanztherapeutin
Workshops für
Gewaltfreie Kommunikation
und Tantra